Die juristischen Niederlagen des Klosters Mehrerau

Über ein Jahr hat sich das Kloster Mehrerau in Bregenz gegen zwei Klagen gewehrt, die von ehemaligen Schülern des Klosterinternats wegen sexuellem Missbrauch eingebracht worden waren. In den letzten Wochen sind beide Prozesse mit Vergleichen zu Ende gegangen. Dennoch fällte der Oberste Gerichtshof ein Urteil im Hinblick auf die zivilrechtliche Verjährung derartiger Taten. Dieses Urteil ist einen genaueren Blick wert, macht es doch die Türen für weitere Prozesse gegen Einrichtungen wie die Mehrerau weit auf.

Anfang 2012 brachten zwei ehemalige Schüler unabhängig voneinander zivilrechtliche Klagen ein und forderten vom Kloster Schmerzensgeld und Verdienstentgang. Zunächst klagte Christian C auf 135.000 Euro. Als eine Gruppe von ehemaligen Schülern davon erfuhr, entschlossen sie sich, Bruno G im Prozess zu unterstützen, der daraufhin ebenfalls klagte. Seine Forderung belief sich auf 200.000 Euro. Bei den Verhandlungen drehte sich alles um die Frage, ob die Klagen bereits verjährt waren. (Die Biene berichtete.)

Dissoziation hemmt Verjährung

Im Jänner 2013 fällte das Landesgericht Feldkirch schließlich die Urteile und stellte fest, dass beide Fälle noch nicht verjährt, die Klagen also zulässig sind. Die juristischen Hintergründe für diese Entscheidungen waren in beiden Fällen unterschiedlich gelagert. Bei Christian C lag ein psychiatrisches Gutachten vor, das ihm eine Dissoziation bescheinigte. Es handelt sich dabei um eine psychologisches Phänomen, das häufig bei traumatisierten Menschen vorkommt. Dabei wird ein Gedächtnisinhalt vom abrufbaren Gedächtnis abgetrennt, der Mensch kann sich also an die traumatisierenden Situationen, in diesem Fall die erlittenen Missbrauchshandlungen, nicht mehr erinnern, bis ein Ereignis von außen das ganze wieder ins Bewusstsein bringt. Bei Christian C war das die Medienberichterstattung zu anderen Missbrauchsfällen in der Mehrerau. Nach einer Radiosendung zum Thema waren die Erinnerungen plötzlich wieder da.

Das Gericht entschied nun, dass dadurch die Verjährungsfrist erst in dem Moment zu laufen begann, in dem das Opfer sich wieder an die Ereignisse erinnern und damit seine Ansprüche geltend machen konnte.

Mehr als Klasnic-Kommission je zahlte

Nach diesem Urteil, das vom Oberlandesgericht Innsbruck bestätigt wurde, dauerte es noch lange, bis das Kloster auch nur zu Gesprächen über einen außergerichtliche Einigung bereit war, obwohl die Zeichen bereits klar auf eine juristische Niederlage deuteten. Im April kam es dann zur Zahlung von Schadenersatz an Christian C. Über die Höhe wurde Stillschweigen vereinbart. Wie der Autor dieser Zeilen aber in Erfahrung brachte, liegt der Betrag um ein Mehrfaches über dem, was die so genannte „Opferschutzkommission“ unter der Leitung von Waltraud Klasnic zu zahlen bereit ist.

250.000 Euro

Anders gelagert war der Fall von Bruno G. Er hatte die Klage kurz von Ablauf der 30-jährigen Verjährungsfrist eingebracht (während die Vorfälle bei Christian C bereits mehr als 30 Jahre her waren). Damit bestand hier die Frage, ob das Kloster für Straftaten eines Mönchs zur Verantwortung gezogen werden kann, der das Internat leitete. Der Kläger, vertreten durch den Feldkircher Anwalt Sanjay Doshi, vertrat die Meinung, es handle sich hier um eine so genannte „Erfüllungsgehilfenhaftung“, bei der das Kloster für einen Mitarbeiter haftet. Darauf war die Prozessstrategie aufgebaut. Das Landesgericht Feldkirch und das Oberlandesgericht (OLG) Innsbruck sahen das ebenso und stellten fest, auch hier sei keine Verjährung eingetreten.

Nach dem OLG-Urteil in diesem Fall einigten sich auch hier das Kloster und der Geschädigte auf Zahlung von 250.000 Euro. Als dies publik wurde, erstaunte viele Beobachter vor allem die Höhe der Summe. Jene Opfer, die sich an die Klasnic-Kommission gewandt hatten, konnten bisher mit maximal 25.000 Euro rechnen. Hier aber war das 10-Fache dessen gezahlt worden. Die von der Klasnic-Kommission „Entschädigten“ könnten sich also durchaus „abgespeist“ vorkommen und ihrerseits noch zu Gericht ziehen, was die katholische Kirche mit der Einrichtung der Kommission gerade verhindern wollte.

Kloster vom OGH juristisch abgewatscht

Nach einer außergerichtlichen Einigung enden normalerweise alle Verfahren. Hier aber hatte sich die Mehrerau zu lange Zeit gelassen, um ein Urteil des Obersten Gerichtshofes noch zu verhindern. Als dieses nun im August veröffentlicht wurde, waren wohl viele Kleriker einigermaßen erstaunt. Nicht nur das Urteil selbst, das Bruno G auf der ganzen Linie Recht gab, war bemerkenswert, auch der Ton des Urteils dürfte einige Kirchen-Verantwortliche zum Schwitzen gebracht haben. Der OGH fand hier sehr klare Worte.

Inhaltlich sei eines hervorgehoben. Lief die Argumentation des Klägers noch darauf hinaus, das Kloster müsse sich für die Taten des sadistischen Pater B verantworten, meine der OGH, das Kloster selbst – in der Person des damaligen Abtes – habe die Haftung begründet und rechtswidrige Handlungen gesetzt, habe man doch einen bekannterweise brutalen und bereits wegen sexuellem Missbrauch verurteilten Mann zum Internatsleiter bestellt. Das Kloster steht hier also nicht für die Taten eines anderen ein, sondern hat aufgrund eigener Taten für die brutalen Missbräuche gerade zu stehen.

Eine Analyse des OGH-Urteils ist hier zu finden.

Das Urteil des Obersten Gerichtshofs im Wortlaut.

Auch das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck im Fall Christian C lässt kaum Zweifel an der brachialen Niederlage, die sich das Kloster hier durch Arroganz und vermeintliche Siegessicherheit eingefangen hat. Auch für juristische Laien ein Lehrstück.

Ein Kommentar zu “Die juristischen Niederlagen des Klosters Mehrerau

  1. sehr feine Zusammenfassung! zeigt eine gute Entwicklung in der österreichischen Justiz! Danke für den Kommentar und die beigefügten Dokumente.

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